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Dornröschenschlaf

Als junges Mädchen fand ich mich in einer Peergroup wieder, in der es sehr wichtig war, möglichst reif zu sein. Ich hatte ein kindliches Gesicht, das Erwachsene immer besonders hübsch fanden, in meiner Clique fühlte ich mich jedoch nie schön und litt sehr unter meinem Äußeren. Meine Büste zeigten kaum das erwünschte Wachstum. Ich beneidete die Mädchen, die schon älter aussahen. Mit zwölf Jahren gehörte ich zu den ersten, bei denen die Periode einsetzte; ich freute mich riesig! Es war ein Schritt in Richtung Frau werden und ich gehörte zu den Erwachseneren. Ich war hochstolz! Doch meine Regel machte mir auch zu schaffen, ich litt unter wirklich starken Blutungen und Unterleibsschmerzen, die dann für eine ganze Woche anhielten. Diese Tortur wiederholte sich etwa alle dreiundzwanzig Tage.

Nach und nach bekamen alle in der Gruppe ihre Periode und somit war es keine Besonderheit oder Auszeichnung mehr. Jetzt galt es, erste sexuelle Erfahrungen zu sammeln. Meinen ersten Freund, mit dem ich diese dann auch machen wollte, hatte ich mit fünfzehn Jahren. Meine Mutter war alarmiert und nahm mich gleich mit zu ihrer Gynäkologin, die mir dann die Pille verschrieb. Zugegeben, ich drängte im Gespräch auch sehr drauf. Die Pille zu nehmen erschien mit damals so cool und erwachsen... In erster Linie sollte sie zur Verhütung dienen und in zweiter meine Regelschmerzen lindern. Richtige Akne hatte ich zwar nicht, doch ich hoffte auch darauf, dass mein Hautbild sich mit der Einnahme verbessern würde.

Die Pille erfüllte alle genannten Aufgaben perfekt: Meine Regelblutung fiel deutlich schwächer und kürzer aus, sie war planbar und fantastische Haut bekam ich obendrein. Auch als meine Beziehung nach kurzer Zeit in die Brüche ging, war ich nicht bereit, diese Vorzüge wieder aufzugeben. Nebenwirkungen fielen mir keine auf, also nahm ich die Pille einfach weiter. Ich war als junge Erwachsene sehr viel als Rucksacktouristin auf Reisen, dem Aspekt der planbaren Menstruation kam da eine besonders große Bedeutung zu – denn wer braucht beim Inselhüpfel auf Fiji schon seine Regelblutung?

Lange Zeit war ich völlig sorglos bezüglich der Einnahme. Ich begann mein Medizinstudium und in Gynäkologie wurde gelehrt, dass Langzyklen zu favorisieren seien – wie praktisch, das passte perfekt zu meinem Lebensstil! Und so nahm ich die Pille nach Rücksprache mit meiner Frauenärztin beinahe durchgehend. Die Einnahme sollte außerdem das Risiko für Eierstockkrebs reduzieren – die Pille brachte mir scheinbar nur Vorteile.

Zeitgleich habe ich meinen Ehemann kennen und lieben gelernt, eine suffiziente Verhütung war von uns beiden gewünscht und so gab es weiterhin keinen Grund zum Absetzten. Die Einnahme der Pille war für mich so selbstverständlich, dass ich sogar bei Arztbesuchen und der Nachfrage nach Medikamenten oft vergaß, sie anzugeben; ich betrachtete die Pille nicht als echtes Medikament. Paare, die anders verhüteten, habe ich zwar nicht mit schrägen Blicken bedacht, doch insgeheim habe ich deren Verhütungsalternativen schon als unpraktisch verurteilt.

Erste flüchtige Bedenken hatte ich, als einige meiner Freundinnen die Pille wegen ihres Kinderwunsches absetzten und mit Zyklusanomalien zu kämpfen hatten. Ausbildungsbedingt war Familienplanung bei ihnen einfach schon früher ein Thema. Da habe ich schon darüber nachgedacht, dass ich eigentlich momentan keine Ahnung habe, ob meine Geschlechtshormone noch richtig arbeiteten. Doch die positiven Aspekte überwogen und es gab ja auch Paare, bei denen eine Schwangerschaft sofort nach Absetzen der Pille eintrat.

Was mir ebenfalls zu denken gab, war die Wesensveränderung, über die manche meiner Freundinnen berichteten. Manchmal dachte ich mir dann schon, ob die Pille meinen Charakter wohl auch beeinflusst? Allerdings war das für mich kaum festzustellen, ich nahm die Pille ja schon mein gesamtes Erwachsenenleben lang. Nach und nach stellte sich bei meinem Mann und mir dann auch der Kinderwunsch ein und endlich kam der langersehnte Zeitpunkt, zu dem die Erfüllung des Wunsches mit meiner Arbeits- und somit finanziellen Situation vereinbar wurde.

Mein Mann und ich saßen im Jänner an einem Strand in Thailand, als wir uns über das Thema unterhielten und beschlossen, im Sommer mit dem Basteln anzufangen. Meine Bedenken, wie mein Zyklus sich wohl verhalten würde, erwachten aufs Neue und nach einer weiteren Reise im April setzte ich die Pille schon vor dem besprochenen Zeitpunkt ab. Meine Frauenärztin unterstützte die Idee, die Pille vorzeitig abzusetzen und dadurch dem Zyklus Zeit zum Einpendeln zu geben. Mein Mann war etwas erstaunt, konnte jedoch die Überlegungen nachvollziehen und wir verhüteten bis zum Sommer mit Kondomen.

Es kam dann, wie es kommen musste: Ein Monat verging und es trat keine Menstruation ein. Ein weiterer Monat verging. Ich begann, mir Sorgen zu machen – obwohl mir klar war, dass nach fünfzehn Jahren Pilleneinnahme mein gesamtes Hormonsystem nicht nur im Dornröschenschlaf, sondern eher in tiefem Koma sein musste. Gleichzeitig bemerkte ich Veränderungen an meinem Körper: Meine Haut wurde schlecht. Ich bekam Pickel auf der Stirn, auf dem Kinn, am Dekolleté und am Rücken. Meine Haare wurden fettiger und mussten öfter gewaschen werden.

Doch nicht nur mein Körper machte Veränderungen durch: Meine Emotionen waren zum Teil schier überwältigend: Wut, Freude, Trauer – all das überrollte mich mit einer Wucht völlig ungeahnten Ausmaßes. Ich konnte mich unglaublich ärgern und ließ mir plötzlich kaum noch was gefallen – war das mein wahres Ich? Ich mochte es und mag es auch jetzt noch. Die Pille hatte mich also tatsächlich emotional geglättet. Ich fühlte mich insgesamt vitaler und leistungsfähiger, brauchte weniger Ruhepausen und hatte generell mehr Tatkraft und Unternehmungsgeist als zuvor, was mich richtig beflügelte.

Mein Sexualleben erfuhr ein grandioses Upgrade durch eine völlig neue Libido. Früher musste ich mich oft zum Sex überwinden und meistens war es mein Partner, von dem die Initiative ausging; heute kann ich Sexualität viel lustvoller erleben und genießen! Was habe ich mir die ganzen Jahre über nur angetan? Da mein Sexualleben erst nach Beginn der Pilleneinnahme startete, konnte ich es einfach nicht besser wissen, ich nahm den Zustand einfach als normal an. Sexualität zu leben ist ein derart wichtiger Bestandteil des Menschseins und ich habe meine durch ein Medikament fünfzehn Jahre lang verkrüppelt.

Die fettigeren Haare störten mich nicht, meine Haare waren sonst immer zu trocken gewesen. Und meine Haut bekam ich durch intensive Pflege auch in den Griff. Sorgen machte mir lediglich meine ausbleibende Menstruation. Nachdem ein weiterer Monat, mittlerweile der dritte, vergangen war, suchte ich meine Frauenärztin auf. Sie stellte fest, dass meine Gebärmutterschleimhaut zwar nicht mehr so aussah, als wäre sie von der Pille unterdrückt, dass sie für eine richtige Menstruation aber nicht ausreichend aufgebaut sei. Sie beruhigte mich damit, dass ich ja auch andere Veränderungen wahrnahm und diese Prozesse etwas Zeit brauchten. Falls sechs Monate nach dem Absetzen nichts passiere, müsse man den Hormonstatus abklären.

Am darauffolgenden Tag trat eine leichte Blutung ein. Obwohl mir bewusst war, dass das noch nichts Richtiges war, freute ich mich dennoch immens – es tat sich also was! In den folgenden Monaten trat nach vierzig bis 45 Tagen jeweils eine Blutung auf. Und obwohl mein Mann und ich auf die Verhütung mittels Kondom verzichteten, war ich sechs Monate nach dem Absetzen der Pille noch immer nicht schwanger. Ich bekam das Gefühl, dass mit mir etwas nicht stimmte und durchforstete meine Lehrbücher für Gynäkologie und das Internet. Es wurde meistens eine Zeit von zwei bis vier Monaten angegeben, in der sich der Zyklus normalisieren sollte, doch so richtig schlau wurde ich aus all dem nicht.

Eine Freundin, der ich mich anvertraute, hat mir den Tipp gegeben, mich mit der symptothermalen Methode zu beschäftigen. Diese würde mir helfen, Veränderungen zu beobachten, zu dokumentieren und einzuordnen. Also legte ich mir ein Thermometer und das Buch von Dr. Rötzer zu und machte mir ein komplett neues Wissen über den weiblichen Zyklus zu Eigen. Meine Aufzeichnungen belegten sehr langsame Veränderungen; kein Zyklus war wie der vorherige. In jedem konnte ich Neues entdecken und die Beziehung zu meinem Körper bekam eine ganz neue Qualität – einfach dadurch, dass ich mich intensiv mit ihm auseinandersetzen musste und auch heute noch muss. Ich habe gelernt, mehr auf mich selbst zu achten und bewusst mit mir umzugehen. Ein rücksichtsloser Umgang führt bei mir zu einer beobachtbaren Entgleisung der Hormone und zu einem derangierten Zyklus. Da ich bei meiner Arbeit gelegentlich sehr unter Druck gerate und öfter im Monat Nachtdienste ableisten muss, fällt mir das besonders auf.

Heute, ein Jahr nachdem ich die Pille abgesetzt habe, hat sich mein Zyklus immer noch nicht zur Gänze normalisiert. Ich konnte bisher erst zweimal eine Ovulation dokumentieren, schwanger bin ich natürlich auch nicht. Es macht mir zeitweise extrem zu schaffen, dass mein mittlerweile wirklich großer Kinderwunsch sich nicht erfüllt. Viel mehr noch belastet mich, dass die derzeitige Situation womöglich vermeidbar gewesen wäre, hätte ich die Pille nicht so sorg- und achtlos über die Hälfte meines Lebens eingenommen und zwar einfach, weil es praktischer für mich war.

Ausgerechnet die Pille, die ich so lange verwendet habe, um die Menstruation planbarer zu machen, wirft mir meine Lebenspläne durcheinander! Selbst wenn ich noch länger auf eine Schwangerschaft warten muss, wäre ich schon unglaublich froh, wenn mein Körper sich auf einen normalen Zyklus einstellen würde und ich mich als funktionierende Frau fühlen könnte. Mit dem heutigen Wissenstand hätte ich die Pille schon wesentlich früher abgesetzt. Mein Mann und ich würden auch, falls wir eine Tochter hätten, ihr zwar nicht gänzlich von der Einnahme abraten, sie aber zu einem sehr kritischen Umgang damit erziehen. Ich für mich werde nie wieder auf ein hormonelles Verhütungsmittel zurückgreifen, dafür hat auch mein Ehemann vollstes Verständnis. Mein neugewonnenes Körpergefühl möchte ich nicht aufgeben und die Gefahr, die so sensiblen hormonellen Regelkreise zu stören und aus dem Gleichgewicht zu bringen, scheint mir zu groß.