Eine Verwünschung von Mutter Natur?
Ich war etwa elf Jahre alt, da bekam ich zum ersten Mal meine Tage. Schon einige Zeit zuvor hatte ich immer wieder Schleim in meiner Unterhose bemerkt und mit kindlicher Begeisterung dem ersten Blut entgegengefiebert. Meine erste Menstruation: der Inbegriff der weiblichen Fruchtbarkeit, jetzt war ich erwachsen, jetzt war ich eine Frau! Bei den Indianern ist die erste Blutung eines Mädchens ein Fest der Freude; das Mädchen, nun eine Frau, läuft über die Felder und lässt einige Tropfen des fruchtbaren Bluts auf den Boden fallen, um ihn zu segnen. Wie gern wäre ich eine Indianerin gewesen! Meine Freundinnen empfanden das monatliche Blut als lästig, zum Teil sogar ekelerregend, mich erfüllte der farbenfrohe Lebenssaft mit Stolz.
Mit dreizehn, vierzehn Jahren begannen die anderen Mädchen um mich herum, die Pille zu nehmen. Manche hatten Krämpfe, andere wollten größere Brüste und schönere Haut. Einigen war es wichtig, einfach ihre Tage jederzeit verschieben zu können: »Wenn du mal in den Urlaub fahren willst oder so, was machst du dann?« Bei wiederum anderen war es der Wunsch der Eltern und warum sollte auch etwas dagegen sprechen? Meine Freundinnen nahmen also die Pille und waren damit erwachsen. Aber ich hatte doch schon meine Blutung und war damit bereits eine gestandene Frau? Meine Tage kamen von Anfang an immer sehr regelmäßig – wozu also die Pille nehmen? Ich empfand die Blutung nie als etwas Störendes, ich wollte offen darüber reden und stieß nur auf Ablehnung.
Der weibliche Zyklus war für mich ein wahres Wunderwerk der Natur, das man am eigenen Leib erfahren konnte. Mit der Zeit entdeckte ich Regelmäßigkeiten und Symptome, die immer wieder gleich auftraten. Meine Brüste wurden dick und begannen zu spannen, der Schleim veränderte sich, kleine Unterschiede in meiner Haut... Mein Zyklus war nicht einfach etwas, was mir geschah, etwas was mir jemand aufdrückte, sondern eine innere Energie, die aus mir selbst heraus kam. Ich begann, immer mehr auf diese Dinge zu achten, es war spannend und fesselnd. Diese Veränderungen waren ein Ausdruck meiner Fruchtbarkeit, für mich waren sie das Natürlichste auf der Welt und ein fester Teil von mir.
Mit der Zeit bekam ich ein immer besseres Gefühl für meinen Zyklus. Ich konnte genau sagen, wann ich meine Blutung haben würde, selbst wenn sie sich mal verschob; ich spürte das einfach. Wenn ich sehr viel Stress in der Schule hatte, kam sie eben ein paar Tage später, aber sie kam, da war sie verlässlich. Sie kündigte sich mit einem wilden Heißhunger an und sie passte sich meinem Leben an. Mein Körper war mein Verbündeter.
Für mich war all das so natürlich und selbstverständlich; ich ging davon aus, jeder Frau würde es so gehen. Als in der Schule gegen Ende der Mittelstufe schließlich die hormonellen Hintergründe des weiblichen Zyklus aufgedeckt wurden, stellte sich plötzlich in Gesprächen in der Mädchenumkleide unter der Sporthalle heraus: Dem war nicht so. Für andere Mädchen waren meine Erfahrungen ebenso wie meine Faszination und mein Stolz befremdlich. Ihre Tage? Lästig. Zervixschleim? Eine widerliche Sache. Ihr Zyklus war für sie eine Strafe, eine Verwünschung von Mutter Natur, derer man am besten mit Hilfe der Pille Herr wurde.
Mit fünfzehn bekam ich unerwartet auf einer Klassenfahrt eine Zwischenblutung. Wir waren in der Stadt unterwegs, meine Notfallhygieneartikel waren natürlich noch in der Herberge. Offen und pragmatisch wie ich war, sagte ich meiner Gruppe Bescheid und verschwand in den nächsten Supermarkt. Kann ja schließlich jedem mal passieren. Ist doch die natürlichste Sache der Welt. Auf die folgende Diskussion auf einer Parkbank war ich nicht gefasst gewesen. Es fing mit harmlosen Fragen an, ob ich denn nicht gewusst hätte, dass ich meine Tage bekommen würde. Ob ich beim Arzt gewesen sei, es wäre ja schließlich nicht normal, dass eine Blutung sich verschiebt; da ist was faul, das muss man abklären! Zu meiner Überraschung nahmen auch die Jungs an dem Gespräch teil und waren völlig auf der Seite der anderen Mädchen. In unserem Alter die Pille nicht nehmen? Das ist doch krank!
Damals hatte ich keinen Freund, geschweige denn war ich sexuell aktiv. Es war doch alles in Ordnung bei mir – warum zur Hölle sollte ich die Pille nehmen? Ich blieb pillenlos und fühlte mich wohl dabei. Mit achtzehn war ich schließlich zum ersten Mal beim Frauenarzt, damals hatte ich auch einen Freund. Seine Frage, ob ich denn eine Pille zur Verhütung benötigen würde, traf mich unvorbereitet. Instinktiv aber entschieden lehnte ich ab. Wenn mich jemand aus meinem Freundeskreis auf die Pille ansprach, schob ich Probleme mit dem Brustgewebe als Grund vor und verwies auf Kondome. Und dabei blieb es.
Verschiedene Erfahrungen in meinem Leben machten mich kritischer Medikamenten gegenüber und dem vorbehaltlosen Einnehmen derselben. Eine Freundin, die jahrelang die Pille genommen hatte, kämpfte mit üblen Schwangerschaftsbeschwerden. Alle meine Freundinnen hatten durch die Pille in wenigen Wochen eine Körbchengröße zugelegt. Ich bekam ihre ungetragenen neuen BHs, sie würden ihnen ja nie wieder passen. Unter der Einnahme eines Pillenpräparats versiegten die Blutungen einer engen Freundin vollends. Sie schwebte in Glückseligkeit, ich war schockiert.
Alle meine Freundinnen fühlten sich frei und unbeschwert, ich beobachtete diese Veränderungen mit wachsender Skepsis. Die Pille, das wurde mir im Laufe der Jahre klar, war nicht einfach ein buntes Smartie, das man nebenwirkungslos einwarf, die Pille veränderte einen – und zwar nachhaltig. Mein Entschluss festigte sich: Ich würde dieses Medikament nicht nehmen. Ich würde mich diesem Hormoncocktail und seinen Nebenwirkungen und Gefahren nicht aussetzen; aber vor allem würde ich mir von diesem Medikament nicht meine Fruchtbarkeit, den Inbegriff meiner Weiblichkeit, stehlen lassen.
Mit NFP, auf das ich zufällig im Internet stieß, eröffnete sich mir eine neue Welt. Natürliche und hormonfreie Verhütung: eine Methode, die exakt meiner Natur und meiner Vorstellung entsprach. Plötzlich war ich umgeben von Menschen, denen es ging wie mir. Frauen, die ihre Weiblichkeit leben wollten; mutige, selbstbewusste Menschen, die es leid waren, irgendwelche Wunderpillen zu schlucken und geschönte Versprechen zu hören. Frauen, die meinen Wunsch nach Unabhängigkeit von kleinen Pillen und Hormonen verstanden. Ich war Anfang zwanzig und endlich angekommen.
Einmal, auf einer Party im engen Freundeskreis, erwähnte jemand eine Freundin, die jetzt NFP mache. Das wurde belächelt, sie wolle wohl schwanger werden. Übermütig und beflügelt von meinen Erfahrungen im Forum verteidigte ich die Frau, auch wenn ich sie nicht kannte. An natürlicher Verhütung sei doch nichts Schlechtes, wenn man sie richtig anwendet ist sie schließlich ebenso sicher wie die Pille. Niemand nahm sich die Zeit, mir zuzuhören. Es war mir nicht möglich, mehr zu sagen. Man machte mich nieder und ließ mich nicht mehr zu Wort kommen. Ich beschloss, das Thema nicht mehr anzusprechen.
Heute bin ich eine unsichtbare Verhüterin. Wenn mir jemand die Pille aufzwängen will, ziehe ich die alte Geschichte mit dem Brustgewebe aus ihrer staubigen Schublade. Das Diskutieren bin ich leid. Wenn mich jemand fragt, wie ich denn dann verhüte, nenne ich Kondome. Es ist ja nicht einmal gelogen, es gilt nur nicht für meinen ganzen Zyklus.
Ich kann darüber zwar nicht offen sprechen, aber ich lebe selbstbestimmt. Meine Weiblichkeit gehört ganz allein mir.