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Die Patientin

Ich starre die Rezeption an. Starre auf die Rückseite des PCs. Meine Daten werden gerade aufgenommen. Ich darf Platz nehmen. Nun warte ich, bis die Ärztin mich aufruft. Ich will die Pille. Einen Freund habe ich nicht. Ich muss mir überlegen, welchen Namen ich der Ärztin nennen will, falls sie nach meinen Freund fragt. Simon oder Benedikt. Einen meiner normalen Freunde.

Meine beste Freundin nimmt die Pille und schwärmt, dass sie jetzt größere Brüste bekommen hat und viel bessere Haut. Sie hatte ja immer so viele Pickel und Jungs würden doch auf Mädchen stehen, die reine Haut haben. Ich möchte auch größere Brüste. Vor allem, weil sie jetzt eh noch im Wachstum sind.

Die Ärztin ruft meinen Namen auf und wir gehen in ihr Sprechzimmer. Das Gespräch verläuft schnell. Gezielte Fragen. Nach dem Freund wird nicht gefragt. Gut so. Muss ich nicht lügen. Das Gespräch ist bald beendet. »Rezept bekommen sie vorne, bei meinen Helferinnen.« Verabschiedung. Ich bin richtig froh, das Gespräch hinter mir zu haben und dass ich die Pille jetzt endlich holen kann.

Ich gehe in die nahe gelegene Apotheke und hole mir die Lamuna 20. Eine der leichteren Pillen. Meinen Mutter holt mich wieder ab. Ein kurzer, abschätzender Blick. Sie findet es nicht in Ordnung, dass ich jetzt Hormone nehmen möchte, doch ich bin sechzehn Jahre alt und darf selbst entscheiden, zum Glück!

Die Pille nehme ich jeden Abend um 17:30 Uhr ein. Aufregende Monate liegen vor mir. Jungs werden interessanter. Die eigenen Freunde werden auf einmal interessant und eh ich mich versehe, habe ich, drei Monate nach der ersten Pilleneinnahme, einen festen Freund.

Fester Freund kommt, beste Freundin geht. Mir egal. Das einzige was ich brauche ist mein Freund. Er wird zur wichtigsten Person in meinem Leben. Zu wichtig. Ich merke, wie ich mich verändere. Ich merke, wie ich anfange zu klammern, werde eifersüchtig, aggressiv. Ich nehme ihn voll und ganz ein. Ihm wird es zu viel. Er möchte einfach mal am Wochenende alleine sein, eine Nacht doch auch mal alleine schlafen können. Ich reagiere über. Schlage gegen Betonböden. Ritze mich. Meine erste X-Narbe ist entstanden. Rechts, an der Hüfte. Es werden noch weitere folgen. Wenn mein Freund keine Zeit hat oder es Ärger gibt, muss ich büßen. Ich muss büßen, weil ich mit einfachen Dingen nicht klarkomme.

Ich werde älter. Vernünftiger. Nein. Nicht wirklich. Es folgen viele Streits, viele Narben, viel Gegen-Wand-Geschlage. Ich bekomme Haarausfall. Ich habe gehört, dass das auch an der Pille liegen kann. Ich mache einen Termin bei meiner Frauenärztin.

Ich starre die Rezeption an. Starre auf die Rückseite des PCs. Platz nehmen. Werde aufgerufen. Krebsvorsorge wird gleich mitgemacht. Ich muss darauf achten, dass die Ärztin meine Narben nicht sieht. »Ja, natürlich. Man kann eine Pille probieren, die speziell für Haut und Haare ist.« Eingewilligt. Neue Pille wird geholt. Bellisima. Schöner Name. Schöne Verpackung. Schöner als die alte Pille. Bellisima wird eingenommen. Ich merke, nach einmonatiger Einnahme unter der Dusche, dass meine Brüste spannen. Das zieht sich ganze drei Wochen hin. Ich will wieder meine alte Pille nehmen. Der Haarausfall war nicht so schlimm wie dieses nervige Brustspannen.

Zur Praxis gegangen. Der Helferin gesagt, man möchte doch lieber wieder die alte Pille nehmen. Wird sofort genehmigt. Wieder die alte Pille um 17:30 Uhr nehmen. Gegen-Wand-Geschlage. Narben. Streits.

Freund teilt mit, dass er nun nach München ziehen wird. In die Stadt. Zwecks Arbeit. Anstrengende Monate liegen vor mir. Ich muss nun meine Tagesbeziehung auf eine Wochenendbeziehung umstellen. Den Freund nur noch am Wochenende sehen? Unvorstellbar!

Freund wohnt in München. Es werden sich Gedanken gemacht zu dem neu entdeckten Wort Pillenpause. Man solle dies vielleicht mal machen, um dem Körper die Hormone zu entziehen. Damit der Körper sich mal erholt.

Es wird überlegt. Irgendwas sagt mir, dass es sich positiv auf mich auswirken wird. Es ist so ein Gefühl. Freund wird gefragt. Alles wird besprochen. Es wird nun mit Kondom verhütet. Unter der Woche wird die Pille ja eh nicht mehr benötigt.

Nach zwei Monaten merke ich, wie ich mich verändere. Mein Freund wird mir weniger wichtig. Ich hänge nicht mehr so an ihm. Bin selbstbewusster. Unternehme mehr mit Freundinnen. Beste Freundin wird wieder zur besten Freundin. Ich gehe öfter mit ihr feiern. Raus. Andere Männer werden interessant. Eher so die Rocker-Typen. Männliche Typen. Mit Bart und kantigen Gesichtern. Nicht so wie mein Freund. Ich merke langsam, dass mein Freund nicht mehr der Typ Mann ist, den ich mir wünsche. Er behandelte mich eh nie gut. Hat sehr viel gelogen. Nun merke ich, dass ich ihn gar nicht mehr vermisse. Mir macht es gar nichts mehr aus, wenn wir uns am Wochenende nicht sehen. Es wird nicht lange überlegt. Beziehung war eh nicht gut. Schon lange nicht mehr!

Ich beende es. Fühle mich leer. Aber ich weiß, dass es besser für mich ist. Irgendwas sagt mir, dass ich das mit der Pille nie geschafft hätte. Mit der Pille würde ich ihm immer noch hinterher rennen.

Ein Monat vergeht. Ich fühle mich frei. Richtig gut! An Pille wird nicht mehr gedacht. Brauche ich nun eh nicht.

Die Zeit vergeht. Nun steht ein anderer Mann vor mir. Bärtig. Langhaarig. Groß. Kräftig. Musiker. Rocker. Er wird zum Freund. Beziehung fühlt sich leichter an. Fühlt sich toll an. Nach zweimonatiger Beziehung wird alles intimer. Es wird über Verhütung gesprochen. Pille tut mir nicht gut, ich weiß das. Etwas anderes muss her!

Ich starre die Rezeption an. Starre auf die Rückseite des PCs. Sprechzimmer. »Es gibt einen Verhütungsring«, schlägt mir meine Frauenärztin vor. Verhütungsring wird genommen. Handhabung ist einfach.

Nach einmonatiger Einnahme verliebe ich mich richtig heftig in meinen Freund. Schmetterlinge im Bauch und das ganze Drum-und-Dran.

Nach viermonatiger Einnahme werde ich wieder weinerlich. Depressiv. Das Gegen-Wand-Geschlage schleicht sich langsam wieder ein. Nicht ganz so schlimm wie bei der Pille, aber es ist trotzdem präsent. Es wird wieder überlegt. Es gibt doch so viele verschiedene Pillen, da muss doch eine dabei sein, mit der alles besser wird! Mit der ich so sein kann, wie ich wirklich bin!

Andere Pille wird probiert. Zoely. Eine Pille der neueren Generation. Nach dreitägiger Einnahme starke Depressionen. Selbstmordgedanken. Durchgehendes Rumgeheule ohne triftigen Grund. Mit Freund wird gemeinsam entschieden, dass diese Pille nur eine Woche genommen wird. Pillenpause.

Freund meint, es wäre besser, keine Hormone mehr zu nehmen. Endgültige Entscheidung. Ich bin zu geschockt von meiner Reaktion auf die letzte Pille. Ich entscheide für mich: Keine Hormone mehr!

Eine andere Verhütungsmethode muss her. Es wird gesucht. Von Verhütungscomputer kommt man auf NFP. Buch wird bestellt. Noch keine Lust sich reinzulesen. Monate vergehen. Diskussionen von den Pillen der neueren Generation werden immer lauter in den Medien. Pille Zoely wird vom Markt genommen. Man macht sich Gedanken. Man wird immer mehr bestärkt in der Entscheidung. Im Freundeskreis gibt es ähnliche Erfahrungen. Freundin von Bruder ist der festen Überzeugung, dass die Pille ihre Jugend zerstört hat. Sie hat ähnliche Erfahrungen zu erzählen wie ich. Ihre sind schlimmer.

Es wird sich ins Buch eingelesen. App und Internetseite werden entdeckt. Es ist alles unglaublich interessant. Bis heute, sieben Monate nach Beginn mit dieser Verhütungsmethode.

Ich werde oft gefragt, wie ich verhüte. Nachdem ich meine Antwort gebe, wird das Gespräch meist mit abwertenden Worten meines Gegenübers beendet. Aber so ist das nun mal. Man muss sich damit abfinden. Ich bin stolz darauf, auch weil ich auf meinen Körper hören und ihn verstehen kann.

Mir geht es gut. Richtig gut. Ohne Hormone. Selten, richtig selten wird ein Gedanke an hormoneller Verhütung verschwendet. Wie bei einem Drogensüchtigen, der sich wieder frei fühlen will.

Ich starre die Rezeption an. Starre auf den Bildschirm des PCs. Warte bis das Rezept fertig gedruckt wird. Ich stehe auf, nehme das Rezept und übergebe meiner sechzehnjährigen Patientin das erste Rezept für ihre Pille.